Hatten wir nicht von einem durchgeknallten Rennpferd berichtet? Nachdem sich Dagostino über den Winter gut bei uns eingelebt hat, ist er nochmals für ein paar Monate zu seiner Trainerin Simone Bals gezogen um mit Jockey Kevin Woodburn einige Rennen zu laufen. Wie wir ausführlich berichtet haben, ging es hier hauptsächlich darum einen Hochleistungsathleten abzutrainieren und vom Renngeschehen zu verabschieden. Es ging nicht um Siege und Platzierungen – auch wenn das nicht jeder so verstanden hat.
Als Dagostino nun zurückkommt und wir die Box mit seinem Namen reservieren, haben wir ein bisschen recherchiert, was dieser denn bedeutet. Dagostino, eigentlich D’Agostino, der Heilige Augustinus war Bischof von Hippo. Dass Hippologie heutzutage die Pferdewissenschaft ist, sei nur am Rande bemerkt. Ferner gibt es noch Gaius Ovtavius Augustus, den Neffen von Julius Cäsar, nach dem der Monat August benannt ist. Nun wundert es uns nicht mehr, dass Dagostino im August hier in Happach wieder einzog und wie ein Kaiser über die Koppeln schreitet. Er kam, sah und siegte – veni -vidi-vici sozusagen. Der Heilige Augustinus – D’Agostino hat übrigens die Augustinusregel aufgestellt, die unter anderem für die Ordensgemeinschaft Liebe und Eintracht als Verhaltensregel vorschreibt.
Die Eingliederung in eine alte Herdenrangordnung ist immer schwierig und oft dauert es Wochen, bis der Ablauf friedlich und ohne Streit und Blessuren überstanden ist. Dagostino war bereits von Januar bis Mitte März in Happach. Allerdings zusammen mit unserem Pony Pauline und dem kleine Schaf Lisa separat, da es nicht sinnvoll wäre, Unruhe in der bestehende Herde für nur kurze Zeit zu riskieren.
Mutig und in der Hoffnung, dass sie den Neuling wiederkennen, wagten wir nun nach seiner Rückkehr die Eingliederung unmittelbar am nächsten Tag. Und wir staunten nicht schlecht, es gab kein Gerangel, keine boshaften Attacken, sondern freundliche Begrüßung von beiden Seiten. Unser feiner, muskulöser Vollblüter verhielt sich vorbildlich, selbstsicher, freundlich und ohne sich mit seinen Kollegen zu zanken, marschierte er anschließend auf die weitläufigen Graskoppel – über das von alten, hohen beschatteten Bäumen, gelegene Paddock zurück zur Wassertränke.
Er stellt sich sodann wie selbstverständlich hinter seinen Kollegen an, um dann in aller Ruhe an der Tränke, langsam und gemächlich Wasser aufzunehmen. Dabei waren ihm die Blicke von seinen Mitbewohnern sicher, die fast staunend dem Treiben zusahen. Selbst unser aufmüpfiger ANTON verfolgt das Geschehen mit großen Augen und gespitzten Ohren. So etwas ist ihm bisher noch nie passiert.
Anton, der Traber, vertritt seine Zunft mit klaren Gesten, angelegten Ohren, gebückter Haltung und jederzeit bereit zum Kampf. Aber diesmal scheint alles anders zu sein. Auch sein erfahrener und älterer Traber-Partner NETLINE verhält sich seltsam ruhig. In kurzen Abständen prüften wir stets das Verhalten in der Gruppe, irgendetwas muss doch passieren.
Beim der näheren Beobachtung entdeckt man einen wunderschönen Vollblüter – nämlich unseren Neuzugang Dagostino eng mit seinen neuen Freunden – BRISK ARROW und BEAU FAIR friedlich grasen!
Wie positiv der erneute kurze Aufenthalt im „Rennstall“ für die Entwicklung eines Vollblut-Athleten in den letzten Wochen zu bewerten ist, zeigt die nachfolgende Tatsache:
Am 26.12.15 wurde ein trauriger, schmaler Held bei uns abgegeben. Man merkte Dagostino seine Unsicherheit und seine Einsamkeit an – ohne seine alten Gefährten – die irgendwo auf den Koppeln am Wesslinger See standen. Selbst ein Ungeschulter konnte erkennen, dass hier etwas nicht stimmte.
Fazit: Leistungsporter müssen – entgegen vieler Einwände – die Zeit zum Umgewöhnen als Freizeitpferde bekommen. Behutsam, mit täglichem, normalen Trainingsabläufen und – und das ist in jedem Fall entscheiden – von einer geschulten Hand, nämlich die eines hervorragend ausgebildeten Jockey oder Arbeitsreiters. Dazu ist der ständige Austausch mit weiteren fachlich bewanderten Personenkreis aus der früheren Umgebung ebenfalls von großem Nutzen.
Diese edlen, schnellen und leistungsstarke Geschöpfe haben unsere ganze Aufmerksam, Zuneigung und Pflege verdient, gerade nach einem anspruchsvollen Aufenthalt im Renngeschehen. Sozusagen als Belohnung, für sehr viel Glücksmomente, Freude, Gewinne und vieles mehr. Verändern sie nicht das eigene Leben? Wir glauben schon: sie verändern alles, selbst unseren Alltag und wenn wir einen Sieger vom Geläuf abholen, dann ist es unglaubliches Glücksgefühl.
Aus diesem Glücksgefühl entsteht eine Verantwortung verbunden mit einer Zuneigung, die fürs Leben hält – man nennt es „Liebe“ und diese selbstverständliche Zuneigung prägt und formt das Danach, ja es formt die Menschen.
Diese Gefühle und viele weitere Erlebnisse mit diesen wunderschönen Helden dürfen nunmehr Kinder und Jugendliche seit Jahren miterleben und das letzte Ereignis, ihren Liebling, ihren Helden Dagostino als Starter in einem Rennen in München-Riem zu erleben, hat alles Bisherige überboten. Schon der Besuch in der Box, das Vorbereiten auf den Wettkampf und dann der Gang zur Arena – all das durften die Kinder und Jugendlichen miterleben. Das Bangen, dann bis zum Start und dann sahen alle unseren Helden galoppieren – wunderschön mit seinem Reiter Kevin Woodburn und in der Zielgrade sauste er als Fünfter durch das Ziel. Die Kinder und die Jugendlichen jubelten, ihr Held – ihr Pferd – unser Dagostino – ja dieses Erlebnis wird man so schnell nicht mehr vergessen. In der Zwischenzeit kamen von überall die Glückwünsche und unser Dagostino wurde mit vielen Kinderhänden zurück zum Stall geführt, um dann abwechselnd von den Kleinen und Großen trockengeführt zu werden.
Was für ein Tag, die Luft roch nach Veilchen, Zitronen und Rosen, die Heimfahrt mit leiser Musik lies viele Träume zu. „Wir haben ein echtes RENNN-Pferd“ haben die Kinder gesagt, der Schönste, der Liebste und zum krönenden Abschluss durften die Kinder und Jugendlichen ihn eine Woche danach in Wessling besuchen und sogar reiten.
Freunde und Verwandte reiben sich die Augen: „Ach ihr Kleinen, ja ja ein Rennpferd reitet ihr??? Solche Bärengebinde, das würde Euch so passen – schaut, dass ihr lieber nicht vom Rad fallt und räumt eure Zimmer auf…“
„Aber liebe Erwachsene, wir haben doch ein RENNN-Pferd und wir pflegen, reiten, füttern und streicheln ihn. „
Und was meint unser Dagostino? Seine Freude, wenn ihn die Kinder begrüßen und streicheln ist nicht zu übersehen, ja – er st ein Vollblüter – ein Rennpferd, ein Held – einer der besten, er hat sich durchgesetzt und seinen Platz bei den Kindern und Jugendlichen bestimmt.
An der diesjährigen Olympiade 2016 nimmt auch ein Vollblüter teil. Es wurde mitgeteilt: wenn ein Vollblüter etwas kann, dann kann er es besser als alle anderen.
Hannelore Gallin-Ast